Klar wurde jedoch auch, dass noch erheblicher Handlungsbedarf besteht: Die Smart Suisse war ein Treffpunkt derjenigen, die in den kommenden Jahren dringend mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen daran arbeiten sollten, die Schweiz im Bereich der Smartisierung weiter nach vorne zu bringen.

ERHEBLICHER HANDLUNGSBEDARF

Mike Voigt, Initiator und Leiter der SmartSuisse, formulierte es in seiner Begrüssungsrede sinngemäss so: im letzten Jahr hätte man auf der SmartSuisse von einem Wake-Up-Call gesprochen - nun sei es an der Zeit, herauszufinden, ob man denn schon aufgewacht sei.

Ein Rundgang über das Messegelände zeigt: aufgewacht sind einige, aufgestanden sind jedoch längst nicht alle. Viele Stände sind noch in den alten Messezeiten verhaftet: hochglänzend zwar, aber doch eher mutlos und vor allem analog. Nur wenige Anzeichen eines gesunden digitalen Selbstbewusstseins, dafür der Eindruck, das Motto laute nach wie vor “Wir wissen, dass wir müssen, wir wissen aber noch nicht so recht, wie und wohin”.

Dies beschreibt die zentrale Herausforderung der Smartisierung und der digitalen Transformation: Sie setzt ein radikales Umdenken voraus. Sie setzt voraus, dass Unternehmen, Institutionen und Experten offen mit der Tatsache umgehen, dass sie den richtigen Weg noch nicht kennen. Dass nur durch Kollaborationen und die Bereitschaft, Fragen, Bedürfnisse, Ideen und Probleme frühzeitig mit der potentiellen Konkurrenz zu diskutieren, Ziele erreicht werden können, und vor allem, dass die Einwohnerinnen der Smart City im Mittelpunkt stehen müssen.

BEDÜRFNISSE DER NUTZERINNEN DEN EIGENEN TECHNISCHEN LÖSUNGEN VORANSTELLEN

Die Bereitschaft dazu scheint ebenso vorhanden wie die Erkenntnis, dass es ohne dieses grundlegende Umdenken nicht weitergehen wird. Aber die Denk- und Arbeitsweise, von der die Rede ist, widerspricht in einigen Bereichen geradezu den Dogmen traditionellen Unternehmertums: Die eigene Ideenschmiede öffnen für Fremde? Mit anderen, deren Ziele man nicht kontrollieren kann, an neuralgischen Pilotprojekten zusammenarbeiten? Zugeben, dass man nicht weiss, wie genau es weitergehen soll? Die dringenden Bedürfnisse der Nutzerinnen den eigenen technischen Lösungen voranstellen?

Mehr Vernetzung und Zusammenarbeit - an der SmartSuisse war das eines der zentralen Plädoyers. Andreas Meyer, CEO der SBB, rief dazu auf, alte Silos zu verlassen und betonte die Wichtigkeit, sich dem Label “not invented here” zu öffnen. Von isoliert zu vernetzt, das sei das Gebot der Stunde.

Der Aufruf, Innovation und Zusammenarbeit neu zu denken, richtet sich jedoch nicht bloss an die private Wirtschaft. Auch Politik und Verwaltung seien aufgefordert, die Weichen für eine erfolgreiche Neupositionierung zu stellen.

NOT INVENTED HERE

Claudia Pletscher, Leiterin Entwicklungsprogramme und Innovationsmanagement bei der Post, gibt ein schönes Beispiel für das innovative Perpetuum Mobile, das sich im Spannungsfeld von rasend schneller Entwicklung und schleichender Regulation ergibt:
Beim Pilotprojekt mit selbstfahrenden Postbussen in Sion erweisen sich Verwaltung und Gesetzgebung als Bremsschwellen der Innovation: die autonom fahrenden Busse müssen von einer Kontrollperson begleitet und gesichert werden. Das Beispiel zeige laut Pletscher, dass es eine der wesentlichen Herausforderungen dieser Tage sei, die Kluft zwischen Technologie und Regulation zu schliessen.

PLÄDOYER FÜR DIE ANWENDUNG VON BAHAVIOURAL DESIGN

Helle Soholt von Gehl Architects erzeugte mit ihrem Beitrag zum Thema Innovation einigen Nachhall. Sie plädierte für die Anwendung von “Behavioural Design” und rief dazu auf, mehr zu machen und weniger zu reden. Design verbinde alle Anwesenden, so Soholt - und man solle es doch bitte dazu einsetzen, die Städte grüner, lebenswerter und insgesamt dynamischer zu gestalten. “Gute Städte sind wie gute Parties”, subsummierte sie: “Man will länger bleiben als ursprünglich geplant”.

Dr. Thilo Zelt von der Beratungsfirma Roland Berger stellte den mehr als 600 MesseteilnehmerInnen eine ausführliche Studie zum Thema Smart Cities vor. In der umfassenden Untersuchung, von der es in Kürze eine Neuauflage geben wird, wurden 87 Städte weltweit nach ihrer Smartness beurteilt. Wien, auf Platz eins der Rangliste, darf allen als Vorbild dienen, doch auch hier sei es so, dass die Bereiche Gesundheit, Bildung und Gebäude noch nicht dieselbe Aufmerksamkeit erhielten wie beispielsweise smarte Mobilität und Verwaltung.

KOORDINATIONSSTELLEN AUFBAUEN UND INNOVATIONSLABORE GRÜNDEN

Der Schweiz attestierte Dr. Zelt, dass sie das Potential der Smartisierung frühzeitig erkannt habe, es aber noch an übergreifenden Konzepten und Strategien mangele. Um diese sinnvoll entwickeln zu können, müssten insbesondere Nutzeranforderungen berücksichtigt, Best Practices umgesetzt, nachhaltige Geschäftsmodelle entwickelt, Koordinationsstellen aufgebaut und Innovationslabore gegründet werden.

Mit dem Areal Wolf, dessen Entwicklung zum “smartesten Quartier der Schweiz” die am Vortag der Messe unterzeichnete Planungsvereinbarung zwischen der SBB und dem Kanton Basel-Stadt zum Ziel hat, gibt es in Basel nun genau solch ein Laboratorium für digitale Innovation und Transformation. Ein Innovationsstandort mit überregionaler Ausstrahlung soll entstehen - ein Smart City Lab mit Raum für diverse Pilotprojekte.

Auch in der Schweiz bewegt sich also vieles. Anderswo geht es dennoch schneller: In vielen Städten und Ländern entstehen unter dem Druck der Verhältnisse Anwendungen, die sich dem drohenden Verkehrskollaps entgegenstemmen, die massive Energieverschwendung aufs Korn nehmen oder den maroden Verwaltungsapparat optimieren. Viele dieser Entwicklungen basieren auf einer simplen Logik: es funktioniert nicht, also muss es zum Laufen gebracht werden.

In der Schweiz, der es im weltweiten Vergleich geradezu traumhaft gut geht, ist der Druck ein ganz anderer. Hier kann man es gemütlicher angehen - das meiste funktioniert passabel bis gut - jedenfalls noch. Eben dieser Standortvorteil gerät, wenn es um die Aufstellung im Rennen um digitale Dominanz geht, zu einem potentiellen Nachteil.

DAS SILICON VALLEY IST FÜR SCHWEIZER VERHÄLTNISSE EIN FRAGWÜRDIGES VORBILD

Wir alle haben, um das Kind noch einmal beim Namen zu nennen, tatsächlich einiges verschlafen. Das sprichwörtlich gewordene Silicon Valley, auf das noch immer viele zeigen, wenn es um die Abschöpfung der Potentiale digitaler Transformationsprozesse geht, ist längst nicht die Wiege aller herausragenden Ideen und für die Schweizer Verhältnisse zudem ein fragliches Vorbild.

Die besondere politische Struktur der Schweiz schafft einen berechenbaren und verlässlichen gesellschaftlichen Rahmen, kontrastiert aber mit der teilweise atemberaubenden Schnelligkeit der digitalen Globalisierung. An vielen Stellen sind globale Lösungen auch für die lokale Anwendung hervorragend geeignet. In anderen Bereichen braucht es dafür intelligente Lösungen und Regulierungen, die nationale, regionale und lokale Besonderheiten berücksichtigen und die Bedürfnisse der ansässigen Unternehmen, Arbeitnehmer und Kunden zur Grundlage digitaler Lösungen nehmen.

Zudem muss es der Schweiz gelingen, den über Jahrhunderte entwickelten öffentlichen Diskurs zu politischen Themen ins digitale Zeitalter zu überführen. Es gilt, Ortskenntnisse, Lokalkolorit und partizipatorischen Eigensinn mit den Anforderungen der digitalen Transformation zu verweben. Hierfür braucht es eine Öffnung von Innovationsprozessen, neue Formen des Austauschs und der Zusammenarbeit sowie den Mut, im Spannungsfeld zwischen Bewahrung von Tradition und rasender Erneuerung Experimentierfreude zu zeigen.

EIN GUTER UND WICHTIGER ANSATZ FÜR DIE ZUKUNFT

Es gilt, auszuprobieren, in den eigenen vier Wänden nach Verbesserungspotential zu suchen und sich für die Ausschöpfung dieser Möglichkeiten mit anderen zusammenzutun. Kurzum: Die digitale Transformation bringt Veränderungen unternehmerischer, gesellschaftlicher und persönlicher Identität mit sich. Herausforderungen also, die leicht zur Überforderung werden können, wann man sich ihnen im Alleingang und mit althergebrachten Mitteln entgegenzustellen versucht.

Es wird also vermutlich noch die eine oder andere SmartSuisse brauchen, bis man nach dem Besuch der Messe mit dem Gefühl nach Hause geht, Teil einer smarten, in der breiten Gesellschaft verankerten Fortschrittsbewegung zu sein. Ein guter und wichtiger Ansatz, um diese Entwicklung voranzutreiben, ist die Messe allemal. Gut tun würden ihr mehr internationaler Input, eine stärkere Einbindung von Forschung und Wissenschaft sowie der Mut, auch als Messeveranstaltung neue Wege zu gehen, auszuprobieren und sich für eine erfolgreiche Zukunft neu zu erfinden.