Dr. Karl Gutbrod vom Basler Wetterdienstleister meteoblue AG, der massgeblich am Projekt «Smart Climate - Plug & Sense» beteiligt ist, erklärte SMarta im Gespräch, warum es ein feinmaschiges Netz zur Erfassung und Modellierung des Stadtklimas braucht und wie drastisch sich das Klima in der Region tatsächlich ändern könnte.

 

SMarta:
Herr Dr. Gutbrod, können wir zu Weihnachten 2050 Orangen im Baselland anbauen? 

Dr. Karl Gutbrod:
Die Orangen leider nicht. Schön wäre es, wenn der Klimawandel nur mit einer Übertragung bekannter Muster einher ginge. Leider ist er unwägbar - Basel wird also nicht einfach zu Bari. 

SMarta:
Was heisst das konkret?

Gutbrod
Es wird drei Monate im Jahr lang kaum regnen und die Landschaft wird vergilben. Im Sommer werden wir immer wieder mehr als 45°C haben - auf dem Land, in der Stadt wird es noch heisser. Im Winter wird es wochenlang bei 5° bis 10°C archaisch regnen. Kurz: es wird öfters “Scheisswetter” geben. 

SMarta
Wie genau lässt sich so etwas für 2050 überhaupt prognostizieren? Ich höre immer wieder, die Rechenleistung unserer Computer reiche für die Berechnung globaler Klimamodelle kaum aus? 

Gutbrod
Für diese Prognosen nutzen wir nur beschränkt Computer, wobei die Rechenleistung weniger das Problem darstellt als die Qualität bzw. das Vorhandensein belastbarer Daten. Wie viele Algen schwimmen in unseren Weltmeeren und bei welcher Wassertemperatur nehmen sie bei wie vielen Sonnenstunden welche Menge CO2 auf? Wieviel CO2 ist zu welchem Zeitpunkt an welchem Punkt der Erde in der Atmosphäre? Solche Dinge müssten wir wissen, um wirklich belastbare Modelle errechnen zu können. Weil wir das nicht können, nutzen wir parametrisierte Modelle, anders gesagt: wir berechnen, wie sich das Wetter bei 2 oder 4°C höherer Temperatur hier entwickeln würde. Und wir vergleichen die Gegenwart mit ähnlichen klimatischen Veränderungen der Vergangenheit.

SMarta
Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie mit Ihrer Wetterprognose für Basel 2050 richtig liegen? 

Gutbrod
Eine Wetterprognose beschreibt den Verlauf von 1 (oder 14) Tagen. Genau genommen machen wir also nur eine Klima-Prognose, und überlegen dann, was diese für ein Wetter erzeugen würde. Hundertprozentige Sicherheit kann es für Klima-Prognosen nicht geben. Dafür gibt es zu viele Rückkopplungen, die wir nicht voraussehen können. Es gibt Szenarien, die milder verlaufen - und auch solche, wo alles völlig aus dem Ruder läuft. Wie Basels Klima wird, wenn der Golfstrom stehen bleibt oder wenn die Tundren auftauen und massenweise Methan freisetzen, kann keiner sicher sagen. 

SMarta
Wie wahrscheinlich sind solche Horroszenarien? 

Gutbrod
Wahrscheinlicher, als dass Sie in ein Auto steigen und in einen Unfall verwickelt werden. Leider sind die Entwicklungen während der Corona-Epidemie ein zusätzlicher Warnschuss. Obwohl wir 3 Monate lang unseren weltweiten CO2 Ausstoss um ca. 10% reduziert haben, steigt die CO2 Konzentration in der Atmosphäre unaufhaltsam weiter, und in Sibirien purzeln die Hitzerekorde. 

Was scheinbar passiert, ist dass die Erwärmung zu einer rascheren andauernden Auflösung von Humus (also CO2 im Boden) weltweit führt, sowohl in den Alpen wie im Tropenwald, und das wird durch Auftauen von Eispanzern und durch Waldrodungen nochmals verstärkt. Seit dieser Beobachtung nach der COVID-Krise mache ich mir ernsthaft Sorgen, dass diese Erde in 100 Jahren für uns nicht mehr bewohnbar sein könnte, wenn wir nicht unseren CO2 Ausstoss rasch senken.

SMarta
Macht es die Tatsache, dass die Wissenschaft nicht mit 100%iger Sicherheit sagen kann, was passieren wird, so schwierig, den Skeptikern des Klimawandels den Wind aus den Segeln zu nehmen? 

Gutbrod
Sicher. Die Skepsis liegt allerdings auch in der Natur des Menschen. Tendenziell brauchen wir 25 Jahre, also eine Generation, bis ein Umdenken stattfindet und wir unsere Handlungen an Erkenntnisse anpassen. Intelligent sind wir zwar, primär jedoch dann, wenn es um die Durchsetzung kurzfristiger Eigeninteressen geht. 

SMarta
Warum ist es so schwierig, den Klimawandel in den Köpfen der Menschen zu verankern?

Gutbrod
Das ist ein klassisches Frosch-Im-Kochtopf-Phänomen. Der Klimawandel ist eine minimale Veränderung der Durchschnittstemperatur über Jahre hinweg. Wir reden von 1 bis 2°C. Ohne feine Sensorik können wir so minime Veränderungen gar nicht wahrnehmen - wir reden nicht vom Unterschied zwischen einer Tisch- und einer Herdplatte. Die Auswirkungen, die diese kleine Veränderung mit sich bringt, sind jedoch enorm. Um das in ein Verhältnis zu setzen: um die Temperatur unserer Atmosphäre im Durchschnitt um 1°C zu erhöhen, bräuchte es ein Kernkraftwerk pro Quadratmeter Erdoberfläche. 

Das Fatale - und ziemlich Einmalige - an dieser Entwicklung ist nun, dass sie für uns tödlich enden könnte, und wenn das sicher ist, ist es definitiv zu spät, um es zu verhindern. Also haben wir die Wahl zwischen 1. (vielleicht unnötiger) Anstrengung aufgrund unsicherer Prognosen, und 2. keiner anfänglicher Anstrengung mit späterer sicherer Prognose (dass wir dann definitiv untergehen). In dem Falle wäre mir 1 lieber. Wer keine Kinder hat, mag sich für 2 entscheiden - die Konsequenzen wird er allenfalls mitbekommen, wenn der medizinische unsere Lebenserwartung entsprechend erhöht.

SMarta
Das Klimasensornetzwerk, das im Smart Regio Basel Projekt installiert wird - wie hilft es, die Stadt und ihre BewohnerInnen auf das veränderte Klima vorzubereiten? 

Gutbrod
Städte sind komplexer als das Land, wenn es um Klimaveränderungen geht. Viel Asphalt, viele Gebäude, die Hitze abstrahlen und selbst welche produzieren - mit dem Messnetz beantworten wir  die Frage, was der Klimawandel konkret für diese Region bedeutet - und wie man auf ihn reagieren kann. 

SMarta
Welche Massnahmen gäbe es denn, um das Stadtklima zu beeinflussen? 

Gutbrod
Begrünung, Beschattung, weniger Abwärme, dunkle Flächen hell streichen, damit sie Hitze abstrahlen statt sie zu speichern. Vor allem aber brauchen die Stadtplaner eine belastbare Datengrundlage, um zu beurteilen, wie die Temperaturveränderungen unsere Städte tatsächlich beeinflussen. Eben dazu dient das Sensornetzwerk. Vorher hatten wir eine handvoll Stationen für die ganze Stadt - das war bei Weitem nicht genau genug, um präzise die Veränderungen messen und zielführend auf sie reagieren zu können. 

SMarta
Wer profitiert denn konkret von dem Netzwerk? Habe ich als Privatperson etwas davon? 

Gutbrod
Wir zielen auf bevölkerungsnahe Massnahmen ab. Wann lüfte ich meine Wohnung am effizientesten, wann heize ich sinnvollerweise, wo in der Stadt ist ein guter Ort, um sich abzukühlen, habe ich genug Flüssigkeit bei mir, um durch einen Tag mit Bruthitze zu kommen? Die privaten Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig. 

SMarta
Und die StadtplanerInnen - warum brauchen die derart genaue Daten?

Gutbrod
Weil einer der grössten Knackpunkte der Zukunft für uns die Frage sein wird, wie unsere Gebäude bei 45°C bewohnbar, unsere Büros benutzbar bleiben. Klimaanlagen, die ja übrigens in Basel heute schon vielfach verboten sind, erhöhen die Aussentemperaturen zusätzlich. Das ist also keine Lösung, da kühlen dann die Grossen auf Kosten der weniger Betuchten und verschlimmern das Problem. Wir brauchen präzise Daten, um innovative Lösungen entwickeln zu können. 

SMarta
Wie gross ist denn überhaupt das Potential von Technologie, wenn es darum geht, die Folgen des Klimawandels abzufangen? 

Gutbrod
Ich sag es mal allgemeinverständlich: ‘s goht scho’, aber ‘s koscht halt. Schaffen können wir es - und je schneller wir investieren, umso besser ist der ROI (Verzinsung des eingesetzten Kapitals). Alle technologischen Massnahmen helfen allerdings nichts, wenn wir weiter dreimal im Jahr in den Urlaub jetten, jeden Tag Fleisch essen, alle 5 Jahre die Wohnfläche vergrößern und mit dem SUV zum Shopping um die Ecke fahren.

SMarta
Also müssen wir doch alle verzichten.

Gutbrod
Gefühlt vielleicht. Mittlerweile bin ich Vegetarier und fahre fast nur noch mit dem Fahrrad oder mit dem Zug - und mir geht es wesentlich besser damit. Ich erlebe das nicht als Verzicht. Auch wenn der Klimawandel nicht käme, würde ich diese Veränderungen nicht rückgängig machen wollen. 

SMarta
Vor welchen Folgen des Klimawandels fürchtet sich der Meteorologe eigentlich persönlich am meisten? 

Gutbrod
Wir reden ständig über Lifestyle und Luxus, auf den wir verzichten müssen. Worüber wir sprechen sollten, ist das Geld: Mit dem Klimawandel kommen gigantische Kosten auf uns zu. Gleichzeitig wird unsere landschaftliche Produktivität sinken und in Afrika werden voraussichtlich Landstriche unbewohnbar, in denen derzeit 400 Millionen Menschen leben. Wir haben also exorbitante Kosten, geringere Produktivität und enorme Migrationsströme, die auf uns zukommen. Das wird nicht ohne Konflikte an uns vorüberziehen. Und wir haben genug Wissen und Technologie , um das noch zu ändern: darüber sollten wir reden.

SMarta
In Zürich ist ein vergleichbares Netzwerk, das nun auch in Basel entsteht, ja bereits installiert. Was habt Ihr dort bereits lernen können - und was versprecht Ihr Euch in Basel für zusätzliche Erkenntnisse? 

Gutbrod
Vor allem müssen wir lernen, die Technologie zuverlässiger zu machen. Als die ersten Handynetze aufkamen, waren überall riesige Funklöcher. Eine zuverlässige Abdeckung, wie wir sie heute haben, entsteht nicht von heute auf morgen. Dasselbe gilt für die Messnetze. Wir lernen, die Zuverlässigkeit der Sensoren und der Übertragungswege zu verbessern, um einen möglichst fehlerfreien, stabilen Betrieb zu gewährleisten. 

Wir haben eingangs darüber gesprochen, wie lange es dauert, bis aus Erkenntnissen tatsächlich Handlungen werden. Umso wichtiger ist es, Projekte wie «Smart Climate - Plug & Sense» anzupacken. Damit das möglich ist, braucht es einen breiten Konsens zwischen öffentlicher Verwaltung, Privatwirtschaft und natürlich der Bevölkerung. Wir sind sehr dankbar, dass Basel sich für das Thema interessiert und Initiativen wie Smart Regio Basel und andere dafür sorgen, dass es im Bereich Klima zügig vorwärts geht. Und wir haben über Lösungen gesprochen: Wir müssen die Technologie so zuverlässig machen, dass wir innerhalb von wenigen Jahren hunderte Städte damit ausrüsten, und rasch Lösungen für diese Städte entwickeln können.

SMarta
Vielen Dank für das Gespräch.

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