Smart Regio Basel:
Frau Alder, Sie leiten die Fachstelle für Grundlagen und Strategie in der Kantons- und Stadtentwicklung im Präsidialdepartement des Kantons Basel-Stadt. In dieser Funktion koordinieren Sie zwischen den Departementen, destillieren Informationen und fördern den Austausch zwischen den entsprechenden Stellen innerhalb der Verwaltung.

Barbara Alder:
Das ist richtig. Wir haben die Funktion einer strategischen Dienstleisterin. Die Strategie Smart City Basel ist ein gutes Beispiel dafür: Es ist ein Querschnittsthema, das alle Departemente angeht. Neu ist aber eigentlich nur die Bezeichnung. Smart City verstehen wir als Ansatz, mittels Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) und der Nutzung von (Echtzeit-)Daten die nachhaltige Entwicklung des Kantons voran zu bringen, um die gute Lebensqualität zu erhalten und weiter zu fördern, heute und für morgen. Wir hatten den Auftrag, zusammen mit allen Departementen die Strategie zu erarbeiten und nun die Umsetzung zu koordinieren. Dabei nehmen wir die übergeordnete Perspektive ein, während die anderen die Thematik aus der jeweiligen Fachperspektive betrachten. Von diesem Mix profitieren am Schluss alle.

SRB:
Frau Riedle, Sie haben bei der SBB eine ähnliche Aufgabe?

Anja Riedle:
Ja, unsere Jobs ähneln sich durchaus. Ich trage bei der SBB die Verantwortung, dass konzernweit alle Massnahmen im Smart City-Kontext aus einem Guss kommen. In unseren sogenannten Divisionen - Personenverkehr, Cargo, Immobilien und Infrastruktur - laufen schon verschiedene smarte Projekte. Wir koordinieren diese und verknüpfen, was zusammen gehört, um nach aussen als eine (smarte) SBB aufzutreten.

SRB:
Das klingt, als hätte die Digitalisierung die Kommunikationsstrukturen grundlegend verändert.

BA:
Der Auslöser ist nicht die Digitalisierung. Dass man zusammen kommunizieren und sich austauschen muss, ist nichts Neues. Insbesondere in Querschnittsthemen wie beispielsweise der nachhaltigen Entwicklung funktioniert es nur, wenn man dies interdepartemental und damit interdisziplinär angeht, um den Wechselbeziehungen und damit auch den Zielkonflikten gerecht zu werden. Das Präsidialdepartement bearbeitet Querschnittsthemen und stellt insofern als Verwaltungsstruktur eine gute Ergänzung zu unserem politischen System dar, in dem die gewählten Volksvertreter von den Wählerinnen und Wählern für ihre Leistungen in Vergangenheit und Gegenwart beurteilt werden und in der Regel nicht dafür, ob sie als Gremium und gemeinsam für die Zukunft planen.

SRB:
Ganz konkret für die Zukunft der Region geplant wird zurzeit im Zusammenhang mit dem Areal Wolf. Wie kam es zu der intensiven Zusammenarbeit zwischen Kanton und SBB?

AR:
Die SBB ist Grundeigentümerin des Areals Basel Wolf. Wenn es um die Weiterentwicklung eines solchen Geländes geht, schauen wir das natürlich immer gemeinsam mit der Verwaltung an. Generell ist die enge Zusammenarbeit mit Kantonen, Städten und Gemeinden für die SBB ein wichtiges Thema. Nach einer ersten gemeinsamen Planungsvereinbarung 2014 haben wir 2016 ein gemeinsames Zielbild entwickelt, das unter dem Motto “Smart arbeiten und urban wohnen” steht. Die vor Kurzem verabschiedete Planungsvereinbarung geht noch konsequenter in Richtung smarte Nutzung von Technologien und Daten und sieht eine enge Zusammenarbeit im Bereich Smart City vor.

BA:
Dementsprechend wurde die Planungsvereinbarung departementsübergreifend von Elisabeth Ackermann als Regierungspräsidentin und Vorsteherin des Präsidialdepartements sowie Hans-Peter Wessels als Vorsteher des Bau- und Verkehrsdepartements sowie von SBB CEO Andreas Meyer und Alexander Muhm als stellvertretendem Leiter von SBB Immobilien unterzeichnet.

SRB:
Haben Sie beide eine persönliche Vorstellung davon, wie das smarte Areal Wolf in Zukunft aussehen könnte?

AR:
Ich bin mir nicht sicher, inwieweit das Areal anders aussehen wird. “Smart City” setzt digitale, aber unbedingt auch analoge, beispielsweise gestalterische oder partizipatorische, Massnahmen voraus. Meines Erachtens werden Städte schon seit Jahrhunderten unter Zuhilfenahme der gerade zur Verfügung stehenden Technologien entwickelt – mit dem Besten, was da ist eben. Man kann sich darüber streiten, ob “Smart City” überhaupt der passendste Begriff ist. Es ist ja nicht so, als ob wir bisher Non-Smart-Cities gebaut hätten. Wichtig ist, dass wir ein spannendes, lebendiges Areal entwickeln, das den Nutzern und Bewohnern gefällt und auch Besucher anzieht. Ein gutes Beispiel hierfür sind Pilotquartiere in Städten wie Kopenhagen. Damit das auch in Basel gelingt, wollen wir spannende Unternehmen auf das Areal Wolf und insbesondere in unser Smart City Lab holen.

BA:
Letztlich geht es um eine hohe Lebensqualität und Standortattraktivität, mit und dank dem Einsatz der IKT und der Nutzung von Daten. Es ist nicht so, dass wir jetzt sechs Jahre Smartness planen und dann 2024 anfangen zu bauen und tolle Technologien implementieren. Zentral ist, dass wir auf dem Areal das von Anja Riedle angesprochene urbane Labor einrichten und darin Dinge ausprobieren können. Was davon schlussendlich wie in zukünftige Nutzungen einfliesst, ist offen. Ich denke jetzt noch nicht an den Bau, sondern freue mich darauf, ein Labor einzurichten, in dem man ausprobiert und in dem etwas auch mal nicht funktionieren darf.

SRB:
Wie finden sich Laboranten und Laborbesitzer, bzw. wie finden die Verantwortlichen, also Sie beide, die passenden Experimente?

AR:
Wir haben den diesjährigen Fachkongress SmartSuisse sehr gut nutzen können, um das Projekt bekannt zu machen. Es gibt höchst unterschiedliche Stakeholder - und die gilt es, zusammenzubringen. Grosse nationale und lokale Player genauso wie Start Ups, Hochschulen, die Bevölkerung und die heutigen Nutzer des Areals.

BA:
Dieser Prozess muss leben und sich entwickeln können. Neue Sachen zuzulassen bedeutet, sie vorher nicht unbedingt bereits denken zu können. Wir prüfen nun, was an Rückmeldungen für das Labor gekommen ist, und welche am ehesten zu unseren Zielen passen. Anja Riedles Postfach ist, glaube ich, nach der SmartSuisse explodiert, und auch auf uns sind zahlreiche Firmen und weitere Stakeholder zugekommen und haben Interesse bekundet und Ideen angemeldet.

SRB:
Sie sind also zufrieden mit der Resonanz?

AR:
Tatsächlich sind bis heute rund 20 Projektvorschläge eingegangen. Tendenz steigend. Da gilt es jetzt, die besten Paarungen herauszusuchen – keine leichte Aufgabe. Auch hier stellen sich Fragen wie: Was heisst das eigentlich, das smarteste Areal der Schweiz entwickeln zu wollen? Mit welchen Partnern gelingt uns das?

SRB:
Wie beurteilen Sie die eingehenden Vorschläge?

BA:
Gemeinsam mit der SBB entwickeln wir entlang unserer Zielsetzungen verschiedene Kriterien, die uns einen Rahmen geben. Am wichtigsten ist bei alldem, die Bedürfnisorientierung im Auge zu behalten, die Nachhaltigkeit, das Innovative. Wir gehen zunächst mal von der Mobilität und vor allem von der Logistik aus. Das sind die Bereiche, die auf dem Areal bereits heute eine grosse Rolle spielen und die Identität vom Wolf prägen. Wir wollen mit Piloten starten, die reale Probleme auf dem Areal Wolf angehen und zugleich zukunftsweisende Lösungen entwickeln.

AR:
Im Bereich der Logistik hat sich bereits ein erster neuer Partner für das Areal Wolf eingemietet: Die notime AG widmet sich vom Wolf aus der smarteren logistischen Feinverteilung in Basel mittels Lastenvelos. Sie unterstützt damit die kantonale Idee der Einrichtung eines nachhaltigen City Hubs auf dem Wolf. Zurzeit macht der aus dieser Feinverteilung resultierende LKW-Verkehr rund 25 Prozent des gesamten Stadtverkehrs in Basel aus. Da gibt es grosses Verbesserungspotential. Spannend sind für das Smart City Lab beispielsweise auch Ideen aus den Bereichen Infrastruktur, Elektromobilität oder Energie. Das Themenspektrum ist breit, der Fantasie sind fast keine Grenzen gesetzt.

SRB:
Das Areal Wolf ist ein Mammut-Projekt. Wie wird sich das Team, die Gruppe, die das Projekt betreut, weiterentwickeln? Wird es irgendwann eine Art Bürgermeisterin für das Areal Wolf geben?

BA:
Das Lab soll den Wolf voranbringen, darüber hinaus aber auch über die Arealgrenzen wirken. Das Projekt ist nicht nur für den Wolf, sondern für die Stadt als Ganzes wichtig. Wir koordinieren im Thema und arbeiten gezielt mit Partnerinnen und Partnern zusammen. Entsprechend sind wir auch organisatorisch aufgestellt. Ob es dann später eine Art Bürgermeisterin brauchen wird, bezweifle ich aus der heutigen Perspektive.

AR:
Es wird fraglos Projektideen geben, die wir nicht auf dem Wolf ansiedeln können, für die sich aber dennoch Partner finden lassen. Das Smart City Lab hat ja eine doppelte bzw. mehrfache Funktion: Nicht alle Ideen müssen auf dem Wolf selber verwirklicht werden. Es ist ein Ideenlabor für das Areal, wird aber auch regional, national und international als Inputgeber bzw. Inspirationsquelle dienen.

SRB:
Warum ist so ein smartes Areal überhaupt wichtig? Ist mein Steuergeld da sinnvoll investiert? Wo führt das hin und was habe ich als Bürger oder Bürgerin konkret davon?

BA:
Die Digitalisierung ist vergleichbar mit der Industrialisierung: Die Frage ist nicht, ob sie kommt, oder ob wir sie wollen. Sie ist bereits da und greift in alle Lebensbereiche. Das geschieht und wird vielfach noch zu unreflektiert und unkontrolliert genutzt. Unsere Demokratie und unsere Freiheit sind durch die neue Technik massiv herausgefordert. Grundsätzlich bin ich optimistisch. Als Historikerin weiss ich, dass die Welt sich permanent verändert - ob ich es nun will oder nicht. Wir können jedoch heute die Handlungsspielräume, die wir auch tatsächlich haben, nutzen und so aktiv Zukunft mitgestalten.

AR:
Zentral ist deshalb, dass wir uns den Tatsachen stellen und uns bewusst machen, was die Technologie kann und wie wir ihr Potenzial nutzen und wie wir mit den Risiken umgehen wollen. Wir haben die Möglichkeit, diese Veränderungen als Chance anzunehmen und steuernd und gestaltend einzugreifen.

SRB:
Was verspricht sich die SBB konkret von diesem Projekt?

AR:
Wir wollen ausloten, was die Entwicklungsmöglichkeiten des Geländes sind. Herausfinden, was eigentlich smart ist und wie wir für alle Beteiligten die besten Lösungen finden. Wir wollen eine smarte Infrastruktur und Partnerlandschaft schaffen, die es uns ermöglicht, mit dem Stand der Technologie intelligent zu wachsen. Und natürlich versprechen wir uns Vorteile für die Zukunft der SBB und ihrer Rolle im Bereich Smart City.

SRB:
Der Verein Smart Regio Basel steht für die Idee, das Feld in und um Basel nicht Google, Facebook und Amazon zu überlassen, sondern regionale Lösungsansätze zu definieren. Ist das der richtige Weg?

BA:
Auf jeden Fall ist es sinnvoll, die Ressourcen und das Know-How von hier zu nutzen. Grundsätzlicher gesprochen besteht die Herausforderung darin, dass wir, die wir diese Zukunftsmusik komponieren, eigentlich aus dem letzten Jahrhundert kommen. Diese Tatsache stellt ein Risiko dar, aber eben auch: eine Chance. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir, die Älteren, noch andere Denkmuster haben und gleichzeitig gefordert sind, uns zu ganz neuen Mechanismen Gedanken zu machen. Aber auch das war immer schon so.

SRB:
Allerdings ist die technische Entwicklung heute noch einmal um einiges rasanter.

BA:
Einen Umgang mit diesem raschen Wandel zu finden, ist eine der grössten Herausforderungen. Und wir dürfen auch nicht mehr dual denken: es gibt nicht einen realen und einen virtuellen Raum, sondern einen Physischen und einen Digitalen, und die gehören zusammen. Das ist eine Wirklichkeit.

AR:
Deshalb orientieren wir uns bei der Entwicklung des Areals Wolf an den Prinzipien des Design Thinkings: Wir geben lediglich die „Spielwiese“ für das smarteste Areal der Schweiz. Grundlage für die Entscheidungen, welche Massnahmen dafür umgesetzt werden, liefern uns die Experimente, die wir im Smart City Lab ansiedeln, und nicht zuletzt die Nutzerbedürfnisse. Darüber hinaus orientieren wir uns an den Social Development Goals der UN, an der Smart City Strategie des Kantons und natürlich auch an unserem eigenen Zielbild Smart City: Beitrag der SBB.

SRB:
Wie kann ein Areal, das heute Logistik- und Umschlagbahnhof ist, zu einem lebenswerten smarten Quartier mit nachbarschaftlichen, lokalitätsbezogenen Dienstleistungen entwickelt werden? Wie haben Sie persönlich sich dem Thema angenähert?

AR:
Ganz am Anfang stand eine Studienreise nach Singapur, eine der smartesten Städte der Welt. Darauf folgten die Teilnahme an vielen Fachkonferenzen und unser Engagement als Hauptpartnerin bei der SmartSuisse. Im September machen wir mit einer zwölfköpfigen Delegation eine Studienreise nach Estland, an der auch  Andreas Meyer und Hans-Peter Wessels teilnehmen. Für mich persönlich war zudem von Vorteil, dass ich aufgrund meines beruflichen Werdegangs Erfahrung in den Bereichen Immobilien und Mobilität  mitgebracht habe und die Strukturen der SBB nach über sechs Jahren gut kenne.

SRB:
Und Sie, Frau Alder?

BA:
Zudem haben die Immobilienentwicklung der SBB und das Planungsamt mit der Arealentwicklung und Nutzungsplanung im Bau- und Verkehrsdepartement bereits Vieles erarbeitet. Ziel einer jeglichen Arealentwicklung ist es ja immer, eine hohe Lebensqualität dank einer integralen Stadtentwicklung zu ermöglichen. Hier setzen wir an und arbeiten gemeinsam weiter. Als strategische Dienstleisterin ist unsere Fachstelle immer wieder mit neuen Querschnittsthemen beauftragt. Ich persönlich gehe immer mit einer optimistischen Grundhaltung, Offenheit und Kreativität an eine Aufgabe heran. Ich habe nicht den Anspruch, dass ich schon heute ein konkretes Bild vom Resultat haben muss. Das soll sich entwickeln können.

SRB:
Vier Planungsteams haben im Rahmen einer städtebaulichen Studie ihre Entwürfe zur Umnutzung des Areals Wolf entwickelt. Nun wird es eine Mischkalkulation aus zwei dieser Entwürfe geben. Welche sind das?

AR:
Die von Christ & Gantenbein aus Basel und EM2Naus Zürich. Sie werden ihre Entwürfe gemeinsam weiterentwickeln. Im Dezember 2018 wollen wir die Ergebnisse der Bevölkerung präsentieren.  

SRB:
Nehmen wir an, ich hätte eine Idee für das Areal Wolf, die ich einreichen will. Wem schreibe ich? Und welches Format sollte ein solcher Projektvorschlag haben? Und wie ist der Zeithorizont?

BA:
Gerne kann man sich an meine Kollegin Anja Riedle von der SBB wenden, oder auch an uns, das spielt keine Rolle. Wir bringen das alles zusammen.

AR:
Das Format spielt jetzt, in der Ideenphase keine Rolle. Baubeginn ist wohl frühestens im Jahr 2024. Bis dahin haben wir fünf, sechs tolle Jahre vor uns. Der Innovationscharakter des Smart City Labs soll selbstverständlich auch über die Planungs- und Bauphase hinaus beibehalten werden.

SRB:
Vielen Dank für das Gespräch.

 

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Zielbild «Smart City: Beitrag der SBB» 

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