“Kann ich Sie in fünf Minuten zurückrufen? Ich muss meine kleine Tochter noch nach Hause bringen”. Um David Thiels analoge Erdung muss man sich keine Sorgen machen, soviel steht schon nach dem ersten, sehr kurzen Teil unseres Telefoninterviews fest: Gerade ist er zum zweiten Mal Vater geworden. Fünf Minuten später klingelt das Telefon wieder. Eine halbe Stunde dauert das Gespräch. Um die Frage zu klären, welches Smartisierungs-Potential womöglich in der Kinderbetreuung steckt, reicht das am Ende nicht.
Zeit bleibt, um mit David Thiel, der in Basel Ökonomie und Kunstgeschichte studierte,
ausführlich über die Smart Regio Basel zu sprechen, deren Gründung er während seiner Zeit als CEO der IWB massgeblich vorangetrieben hat. Zudem sprechen wir über die digitale Transformation im Allgemeinen und über die spezifischen Gegebenheiten der sogenannten Vierten Industriellen Revolution in der Region Basel.
SRB:
Herr Thiel, wie digital ist eigentlich ihr eigener Alltag?
D. Thiel:
Auf einer Skala von eins bis zehn würde ich sagen: eine vier. Ich habe eine schnelle Internetverbindung, benütze täglich Handy und Computer – und ich versuche, möglichst ohne Papier auszukommen. Generell arbeite ich vornehmlich an Konzepten für die digitale Welt, bin aber kein Digital Native. Dafür bin ich schon ein bisschen zu alt.
SRB:
Was für einen Digitalisierungsgrad setzen denn die noch offenen 6 Stufen auf Ihrer Skala voraus?
D. Thiel:
Ich sage es einmal so: enhanced bin ich sicher nicht. In mir sind keine Chips eingebaut, die Daten über meinen Gesundheitszustand sammeln. Von der Grundphilosophie her bin ich in einer Welt aufgewachsen, in der man Daten noch eher geschützt hat als sie freizugeben. Zudem verbringe ich meine Freizeit vornehmlich in der analogen Welt. Das Digitale nutze ich für die Arbeit und um besser informiert zu sein.
SRB:
Trotzdem haben Sie mit der SRB einen Verein gegründet, der sich der Digitalisierung verschrieben hat. Wie kam es dazu?
D. Thiel:
Bei IWB war die Digitalisierung als Megatrend spätestens ab 2014 ein grosses und wichtiges Thema. Die Denkweise war bei IWB damals noch sehr „analog“ und bei einem Energieversorger natürlich ohnehin sehr infrastrukturlastig. Mehr und mehr rückte die Tatsache in den Mittelpunkt, dass neue Anbieter wie beispielsweise UBER ohne Infrastruktur und vornehmlich mit digitalen Mitteln einen grossen Kundennutzen erzeugen. Uns war klar, dass man da aufpassen musste, den Anschluss nicht zu verpassen. 2014 entstand deshalb ein IWB-interner Masterplan, 2015 erarbeiteten wir die Transitionsstrategie und 2016 begann die konkrete Umsetzung. Das Unternehmen entwickelt sich seither schrittweise weiter. Im Rahmen dieser Transformation stellte man sich natürlich die Frage: was ist, wenn wir dereinst voll digitalisiert sind, unsere Kundinnen und Kunden aber weiterhin analog unterwegs sind? Wir alle müssen uns für eine smarte Welt fit machen.
SRB:
Ist das gelungen? Haben die wichtigsten regionalen Player am Tisch Platz genommen, was ja das erklärte Ziel des Vereins ist?
D. Thiel:
Es lief gut an, aber die SRB muss weiter wachsen und weitere Mitglieder gewinnen. Wesentliche Partner sind fraglos die Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft, die wir gern noch stärker bei uns einbinden möchten.
SRB:
Möchten Sie da vielleicht etwas konkreter werden?
D. Thiel:
Historisch gesehen hat Basel eine traditionelle Vorreiterrolle, wenn es um innovative Projekte geht. Denken Sie nur an den Humanismus, der hier massgeblich geprägt wurde oder auch an die chemische bzw. pharmazeutische Industrie. Im Bereich der digitalen Transformation richtungsweisender Player zu werden, wäre da als Stadt eigentlich nur konsequent.
SRB:
Wie ist es denn tatsächlich um die politischen Rahmenbedingungen in der Region bestellt, wenn es um Digitalisierung und innovative Transformation geht?
D. Thiel:
Natürlich haben die Entscheidungsträger zwischenzeitlich die grossen Herausforderungen erkannt, die sie diesbezüglich zum Wohle der Menschen in unserer Region angehen müssen. Aber unser schönes Basel ist halt auch ein Dorf, wo sich alle gut kennen – und nicht immer gleich gut mögen. Angesichts der absoluten Notwendigkeit der Zusammenarbeit über Unternehmens-, Gemeinde- und Kantonsgrenzen hinweg um eine wirklich smarte Region zu bilden, hoffe ich aber sehr, dass persönliche oder institutionelle Animositäten überwunden werden und dass wir uns nun mit vereinten Kräften für die Zukunft der Stadt und der Region einsetzen können.
SRB:
Wer wird denn, Ihrer Meinung nach, die Potentiale der digitalen Transformation in der Region nutzen, wenn es die lokalen Player nicht tun?
D. Thiel:
Ich glaube fest daran, dass die regionalen Player es tun werden. Wir werden in Basel erfolgreich sein müssen, weil sonst globale Giganten wie Google und Amazon das Datenhandling übernehmen und wir bestenfalls als ihre Zulieferer fungieren. Mit Elias Schäfer und seinem Team hat die SRB genug Stabilität und Power für die weitere Entwicklung - und sie ist fraglos das richtige Gefäss für solche Transformationsprozesse.
SRB:
Das klingt ein wenig, als wäre die traditionell eigensinnige Region Basel zurzeit eher etwas harmlos, brav und defensiv aufgestellt, ist das richtig?
D. Thiel:
Wir haben lokal teils eine ziemlich saturierte Situation. Dazu kommt, dass viele lieber weiter ihr eigenes Süppchen köcheln statt neue Allianzen zu suchen. Noch fehlt hier wohl der Druck, um in die Gänge zu kommen.
SRB:
Lässt sich digitale Goldgräberstimmung überhaupt erzeugen?
D. Thiel:
Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, den Sie da ansprechen. Wir können nicht genau wissen, was Menschen von uns brauchen, um ihre digitalen, smarten Geschäftsmodelle zu entwickeln. Wir können auch nicht wissen, welche Bedürfnisse in dieser Hinsicht die gesamte Bevölkerung heute schon hat und künftig noch haben wird. Deshalb ist die Idee der Smart Regio Basel ja auch, Expertise quer durch alle Branchen und Schichten abzurufen. Eine Art Service Public für die digitale Welt – das ist es, was wir brauchen. Hier kann und will die SRB dafür sorgen, breite Partizipation zu ermöglichen und die Zugänglichkeit zu wertvollen lokalen und regionalen Daten zu gewährleisten. Um einen echten Mehrwert für die Menschen in der Region und die Wirtschaft zu erzeugen, müssen wir viel reden und noch mehr zuhören.
SRB:
Wo sehen Sie denn das grösste Potential für die digitale Entwicklung der Region? Wie ist es um die Digitalisierung in der regionalen Wirtschaft überhaupt bestellt?
D. Thiel:
Ich habe nur begrenzte Einblicke in die regionalen Unternehmen. Grosskonzerne wie Roche oder Novartis haben eigene Abteilungen für digitale Innovation und sind ganz vorne mit dabei. Bei den kleinen, mittelständischen Betrieben, sieht es anders aus. Die meisten KMUler sind permanent unter Wasser, ihnen fehlen Leute, Ressourcen, Zeit und mitunter auch das Geld, um sich um digitale Transformation ihrer Unternehmen zu kümmern. Ich schätze, das gilt für 80 bis 90 Prozent der kleinen und mittelständischen Unternehmen.
SRB:
Was sagen Sie denn einer Unternehmerin, die Ihnen im Vertrauen erzählt, dass sie sich längst chancenlos abgehängt fühlt, wenn es um Digitalisierung geht?
D. Thiel:
Der sage ich: “Gut, dass Du das festgestellt hast. Was Du sagst, ist ehrlich und realistisch. Jetzt musst Du Dich und Dein Geschäftsmodell grundsätzlich hinterfragen, damit Du in einer smarten Welt weiter Wertschöpfung betreiben kannst. Mach es schnell - es sei denn, Du gehst in Pension oder hast vor, Deinen Laden zu verkaufen. Wenn Du Dich dieser Herausforderung stellst, wirst Du bald merken, weshalb es die Smart Regio Basel als Plattform braucht. Wir sind zwar nicht Deine Business-Angels, die für Dich ein neues Geschäftsmodell entwickeln. Aber wir stellen zuverlässige und sichere Zugänge zu regionalen Daten her, die Du für Deine Neuaufstellung brauchst. Wir stellen Dir das Netzwerk zur Verfügung, das Du brauchst, um für die smarte Zukunft fit zu werden.”
SRB:
Was wünschen Sie sich in dieser Hinsicht für die Zukunft der SRB und damit verbunden für die der Region Basel?
D. Thiel:
Ich wünsche mir, dass wir auf diesem Gebiet weiter auf allen Ebenen vorwärts machen. Dass wir mit Herzblut an die Sache herangehen und etwas entstehen lassen. Dass wir nicht den Fehler begehen, im eigenen Saft vor uns hinzuköcheln und dabei den Anschluss verpassen. Wenn die Luft einmal raus ist, ist die Luft ganz raus - und genau das darf nicht passieren. Deshalb braucht es die SRB.
SRB:
Herr Thiel, vielen Dank für das Gespräch.
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Das Interview erschien bereits im ersten SRB-e-Magazin im Februar 2018.