Als Dame höheren Alters auf einer Tech-Konferenz zu Gast zu sein, kann in der Schweiz zu einem Spiessrutenlauf werden. Die Technologie- und Ingenieurs-Branchen sind nach wie vor zum Einen männerlastig, zum Anderen eher beschränkt auf die Altersklasse zwischen 25 und 65.
Ich als über 80jährige Dame werde da gerne mal höflich und meist etwas zu laut gefragt, wen ich suchen würde, ob ich Hilfe bräuchte oder von welchem Keynote-Speaker ich denn die Mutter sei. Es hat ein Weilchen gedauert, bis ich mich daran gewöhnt hatte, auf manch einem inländischen Kongress wie eine Ausserirdische behandelt zu werden.
Auf der «WIRED Smarter.» Konferenz in London kam ich mir ebenfalls vor wie auf einem fremden Planeten, aus erfreulicheren Gründen allerdings: Zwar war ich auch hier die wahrscheinlich älteste Dame, aber niemand behandelte mich deswegen wie ein seniles Muttchen. Noch mehr freute mich allerdings, dass bei den unter 50jährigen wohl gleich viele Damen wie Herren im Publikum waren.
Beige Produkte mit grossen Knöpfen.
Die vielen jungen Frauen, die sich da am 30.11. im Londoner King’s Place ganz selbstverständlich als Teil einer internationalen Tech-Szene präsentierten, haben mir Hoffnung gemacht. Hoffnung, dass dieser Trend einer Beteiligung aller an der Digitalisierung sich auch in der Schweiz durchsetzt.
Obwohl ich mich in der Schweiz pudelwohl fühle, komme ich nicht umhin, festzustellen, dass wir beschämend weit von der Weltspitze entfernt sind, wenn es darum geht, nach Kompetenz zu beurteilen statt nach Geschlecht, Herkunftsland, Abschlusszertifikat oder Jahrgang. Aber das wird schon noch, ich bin da zuversichtlich - der Druck des digitalen Wandels kommt langsam aber sicher schliesslich auch bei uns an.
Wirklich smarte Lösungen entstehen, wenn am Entwicklungsprozess die beteiligt werden, für die die Produkte bestimmt sind. Wenn weisshaarige Herren Apps für 25jährige Frauen entwerfen oder 25jährige Männer Hilfsmittel für Seniorinnen entwickeln, kann nicht viel intuitiver Nutzen entstehen. Von beigen Produkten mit grossen Knöpfen habe ich jedenfalls die Nase schon längstens voll.
Keynotes, Panels und Produkte.
Aber zurück zur Konferenz. Vom morgendlichen Beitrag Mariana Mazzucatos, Professorin an der UCL und Autorin diverser Bücher, verpasste ich leider die ersten Minuten. Dabei hatte ich mich auf sie am meisten gefreut. Aber als an Schweizer Dimensionen gewöhnte Reisende macht einem London einen dicken Strich durch die gewohnte Zeitplanung.
Die zehn Minuten, die ich dann doch noch von Frau Mazucattos Beitrag mitbekam, reichten aus, um mich davon zu überzeugen, sofort ihr Buch «The Entrepreneurial State» (zu Deutsch: “Das Kapital des Staates” auf meinen E-Reader zu laden. Frau Mazzucato belegt in dem internationalen Bestseller eindrucksvoll, warum das neoliberale Mantra vom Innovation und unternehmerische Entwicklung verhindernden Staat kaum weiter von der Wirklichkeit entfernt sein könnte.
Mazucatto zeigt, dass bei zahllosen kleinen und grossen Innovationen die öffentliche Hand im Spiel war - und zwar nicht als hindernde, sondern viel mehr als treibende Kraft. Wenn Sie Zeit finden und sich für das Thema Innovation und Unternehmertum, aber auch für die Frage nach einer adäquaten Rolle des Staates interessieren, empfehle ich Ihnen die Lektüre des Buches. Hier nochmals der Link.
Als 81jährige CEO eines internationalen Konzerns.
Nach einigen Keynotes am Vormittag ging es am Nachmittag in einem interaktiven Workshop zum Thema Sicherheit darum, in Gruppen auf der Grundlage von Szenarien diverser Cyberattacken Massnahmen zum Schutz bzw. zur Steigerung der sogenannten Cyber-Resilienz unserer Firmen zu ersinnen.
In 5er-Teams wurden uns leitende Rollen und eine IT-Katastrophe für unsere namenlose Firma zugeteilt. Ich war für 30 Minuten CEO eines weltweit agierenden Konzerns - und hatte mich mit meinem Team auf eine in sechs Monaten bevorstehende Cyberattacke vorzubereiten, bei der wir aufgrund zweier zeitgleich über eine externe Buchhaltungssoftware in unser System eingeschleuste Schadsoftware tagelang den digitalen Kontakt zu unseren Schiffen, ihre Position sowie die Informationen zu ihrer Ladung verloren.
Unsere Workshopaufgabe bestand nun darin, Vorbeugungen zu treffen, um zu verhindern, dass wir - wie tatsächlich geschehen - tagelang im sprichwörtlichen Trüben fischen müssten, bevor wir mit Hilfe hunderter IT Teams weltweit 45.000 Client-Rechner und 4000 Server neu aufgesetzt und rund 2500 Programme reinstalliert hatten.
Mit ein bisschen Stolz darf ich berichten, dass mein Team und ich von den Anwesenden Fachleuten ein durchweg positives Feedback auf unsere binnen Kürzestem erarbeiten Vorschläge erhielten. Damit, welche das im Detail waren, langweile ich Sie an dieser Stelle nicht - lediglich mein allgemeine Heiterkeit erzeugender Vorschlag, die Telefonnummern aller Satellitentelefone auf unseren Schiffen doch einfach in einem Büchlein zu notieren, um anrufen zu können, wenn die Computer ausfielen, sei hier als unerwarteter Trick aus dem Zauberkasten der 81jährigen Geschäftsführerin erwähnt.
Tom Blomfield spricht über den Einfluss vom Wachstum auf die Firmen-Seele.
Ein weiterer spannender Talk bildete für mich einen runden Abschluss der Konferenz: Tom Blomfield, CEO des höchst erfolgreichen Startups Monzo, berichtete darüber, wie man sich als junges Unternehmen trotz enormen Wachstums die eigene Innovationskultur bewahren kann. Ein hochspannender Einblick in die Welt eines Ausnahme-Startups, vorgetragen von einem humorvollen, bodenständigen und so überhaupt nicht dem althergebrachten Klischee des Bankers entsprechenden jungen Mann.
Meine liebe Mühe hatte ich mit der Keynote der beim World Economic Forum für AI und Machine Learning zuständigen Kay Firth-Butterfield. Mit einer spröden Präsentation und gekünstelter Dozenten-Haltung zog die Dame ihre Viertelstunde Bühnenzeit unnötig in die Länge. Am mutig gewählten Titel ihres Talks “Artificial Intelligence, Business and the world: Looking to the future” referierte die Juristin dabei recht konsequent vorbei. Fünf Minuten googeln hätten mir da mehr Erkenntnisse beschert.
Unkonventioneller Umgang mit dem, was es bereits gibt.
Neben diversen weiteren Beiträgen aus den Schwerpunktbereichen Sicherheit, Finanzen und Handel bot die Konferenz zudem zahlreichen Firmen Gelegenheit, ihre innovativen und teilweise erfreulich smarten Produkte auszustellen. Besonders aufgefallen sind mir dabei drei Dinge:
Erstens: auffallend viel Innovation geschieht im Mode- und Bekleidungssektor, wo aus Plastikflaschen und Sicherheitsgurten neue Jacken und Pullover werden, mitwachsende Kleidung entworfen und der ökologische Fussabdruck der Branche mittels Technologie verkleinert wird. Da die Kleidungsindustrie zu einem der grössten Verursacher von Umweltschäden weltweit zählt, ist das eine erfreuliche wie alternativlose Tatsache.
Zweitens: zahlreiche innovative Projekte basieren nicht auf neu erfundener, sondern auf intelligent umgenutzter “alter” Technologie. So bedient sich eine ausgestellte Lösung für den unbemannten, unterirdischen Hochgeschwindigkeitstransport von Waren im Grunde auf einer Idee aus dem 19. Jahrhundert. Wir müssen also keinesfalls alles neu erfinden - oft reicht es völlig, unkonventionell mit dem umzugehen, was schon da ist.
Und drittens: auf der «WIRED Smarter.» dreht sich bei Weitem nicht alles nur um Datensätze, Blockchain und künstliche Intelligenz. Eine der führenden Redaktionen im Bereich Technologie und Unternehmertum führte mit der Kuratierung dieser Messe vor Augen, wie weit sich der Begriff der „Smartness“ auslegen lässt: es geht um die Sicherung einer enkeltauglichen Zukunft - mit allen, auch mit digitalen Mitteln.
Plädoyer für ein Ende des Jugendwahns.
Was ich persönlich von der Messe mitnehme, ist - neben neuem Schwung und der Vorfreude auf mehr Damen in der Schweizer Tech-Szene - die Erkenntnis, dass man kein Programmier und keine Professorin für theoretische Physik sein muss, um gute unternehmerische Ideen zu haben.
Und schon gar nicht muss man unter 30 sein, um in der Start Up-Szene eine Rolle zu spielen. Im Gegenteil: angesichts unserer alternden Gesellschaften wird es höchste Zeit, uns Alte nicht als Belastung zu behandeln, sondern als das, was wir in vielen Fällen sind: erfahrene potentielle LeistungsträgerInnen mit unternehmerischem Potential.
Natürlich wird dabei nicht jede 70jährige zur Erfinderin und nicht jeder 80jährige Gründer eines Start Ups. Dasselbe gilt jedoch für 30jährige genauso. In diesem Sinne: lassen Sie sich nicht von der Digitalisierung in die Enge treiben - begreifen Sie sie als Chance, sich neu zu entdecken. Egal, wie alt Sie sind, ob Sie einen Abschluss haben und was für ein Geschlecht in ihrem Pass steht.
Im November fahre ich für Sie zum Smart City Expo World Congress nach Barcelona und schaue mich dort nach smarten Lösungen um, die in der Region Basel und anderswo Anwendung finden könnten. Und auch dort werde ich mich auf die Suche machen nach heissen Themen und heisser Luft. Von Letzterem hat es nämlich längst mehr als genug - in allen menschlichen Betätigungsfeldern, will mir scheinen.
Auf ein smartes und gesundes Miteinander,
Ihre #SMarta.