Meine erste Begegnung an der Kaffeemaschine im Werk 8, wo sich am vergangenen Donnerstag die zu früh eingetroffenen TeilnehmerInnen der Datengold-Veranstaltung einfinden, macht mir Mut: Renate ist jenseits der 50, aus persönlichem Interesse gekommen und versiert im Umgang mit der Nutzung von Tor. Ich bin also nicht die einzige Dame jenseits der 35, die sich hier eingefunden hat - vielleicht ein gutes Omen für die Veranstaltung des Statistischen Amts Basel-Stadt, die vor mir liegt.
Für alle, die nicht wissen, was Tor ist - wie mein Mann Urs, beispielsweise, dem ich es mittlerweile dreimal erklärt habe: Tor steht für die Abkürzung «The Onion Router» und ist ein Netzwerk, das der Anonymisierung von Verbindungsdaten im Internet dient. Wer sich mit Datensicherheit befasst, begegnet Tor früher oder später - und Renate, die beruflich mit Computern wenig zu tun hat, sorgt sich offenbar um die Sicherheit ihrer Daten. Aber warum eigentlich?
EINSEN UND NULLEN
‘Das neue Gold’. ‘Das neue Öl’. ‘Für das 21. Jahrhundert seien Daten das, was der Dampf für das 19. war’ - an spektakulären Vergleichen mangelt es nicht, wenn es um die Einsen und Nullen geht, die wir täglich produzieren und in denen so viel mehr Information steckt, als vielen bewusst ist. Daten sind wertvoll - wie wir alle daran merken, dass Facebook uns gratis hochkomplexe (und dementsprechend teuer zu entwickelnde) Möglichkeiten sozialer Vernetzung zur Verfügung stellt.
Das eigentliche Geld - und zwar recht viel davon, nämlich rund 56 Milliarden Dollar im Jahr 2018 - setzt der Konzern mit den Daten seiner mehr als 2 Milliarden NutzerInnen um. Ganz schlicht gerechnet, wäre damit jeder individuelle Datensatz eines Facebook-Users rund 25 Dollar wert - pro Jahr. Worin dieser Wert besteht und wie man ihn abschöpfen kann, ist eine, um nicht zu sagen: die zentrale ökonomische Frage des frühen 21. Jahrhunderts.
Welchen Wert Daten für unsere Gesellschaft haben, dieser Frage ging das Statistische Amt Basel-Stadt im Rahmen seiner Veranstaltung Datengold nach. Geladen waren regionale, nationale und internationale Daten-ExpertInnen - da ich hier niemanden langweilen will, bringe ich meine Notizen zu den einzelnen ReferentInnen, den Ateliers und zum Plenum in einen zweiten Text unter, den ich hier verlinke. Für alle, die nicht an Details interessiert sind, hier die Zusammenfassung:
ZENTRALES THEMA: VERTRAUEN
Eigentlich ging es bei der Veranstaltung in fast allen Bereichen um dasselbe Thema, nämlich um Vertrauen. Wem kann man was glauben, wenn es um die Bereitstellung, den Transfer und die Weiterverarbeitung von Daten geht? Was müssen wir Nutzerinnen und Nutzer lernen und leisten, wenn es um die Verteidigung bzw. den Besitz unserer Daten geht? Was können welche Institutionen für uns regeln? Und wie ist eigentlich die aktuelle Lage?
Grundsätzlich gilt: die Gesetzgebung hinkt traditionell der technologischen Entwicklung um Jahre hinterher. Im Bereich der Digitalisierung hat die Europäische Datenschutzverordnung erstmals einen signifikanten Schritt gemacht, der die Hegemonen der Datenwelt in die Pflicht nimmt und grundsätzlich das Individuum als BesitzerIn produzierter Daten ausweist - nicht die Institution, die diese Daten ohne explizites Einverständnis einsammelt.
EIN PAAR COOKIE-WARNUNGEN LÖSEN DAS PROBLEM NICHT
Die Schweiz profitiert von der dieser sogenannten DSGVO - zu tun gibt es hier allerdings immer noch enorm viel. Ein paar Cookie-Warnungen beim ersten Besuch einer Website lösen das Problem nicht, sondern weisen schlussendlich nur immer wieder auf seine Existenz hin.
Meinem Mann Urs ist das alles vollkommen egal. Ihn interessiert nicht, wer was mit wessen Daten macht. «Ich les ja eh bloss Zeitung auf Papier», ist sein Argument, wenn es daheim aufs Thema Daten kommt. Ihm zu erklären, dass das alles sehr wohl auch ihn angeht, weil natürlich seine Daten sehr wohl erfasst und verarbeitet werden, auch wenn er kein Facebook-Profil hat, habe ich aufgegeben.
In meinem Freundes- und Bekanntenkreis sehe ich das häufig: viele in meinem Alter (und eine Generation darunter) haben schlicht und ergreifend aufgegeben, sich mit der Digitalisierung auseinanderzusetzen. Aber da die neuen Technologien mittlerweile so ziemlich jeden Lebensbereich betreffen, wage ich zu prophezeien, dass wir alle gezwungen sind, uns des Themas anzunehmen und uns zu positionieren.
Veranstaltungen wie «Datengold» sind eine hervorragende Plattform, um Menschen mit diesem lästig und kompliziert scheinenden Thema, das uns aber nun einmal alle massgeblich beeinflusst, in Verbindung zu bringen. Idealerweise wären sie natürlich für alle zugänglich - man hätte den Tag beispielsweise streamen können, um all denen, die sich ein Ticket nicht leisten konnten, den Zugang zu den Informationen trotzdem zu ermöglichen.
RESIGNATION LÖST ES EBENSO WENIG
Weder der Versuch, die Nutzung aller digitalen Technologie zu vermeiden, noch eine resignative “ist ja eh alles egal” Haltung bei ihrer Nutzung sind zielführend. Was wir brauchen ist ein Bewusstsein dafür, was mit all dem, das wir tagtäglich unseren Smartphones und Laptops und smarten Kühlschränken anvertrauen, am Ende eigentlich geschieht.
Dass wir dabei nicht alles bis ins hinterletzte Detail hinterfragen können, ist klar. Deswegen müssen wir aber nicht die Flinte ins Korn werfen.. Um die wesentlichen Antworten zu finden, braucht es vor allem eine breit angelegte gesellschaftliche Debatte - und dafür wiederum Bildung und Aufklärung für alle. Weil wir uns nicht darauf verlassen dürfen, dass Firmen oder Staat alleine schon alles für uns regeln.
Schön zusammengefasst hat die Situation Dr. Beat Rudin, Basels oberster Datenschützer. Drei Bereiche macht er aus, über die der Schutz unserer Daten geschehen muss:
- Selbstdatenschutz - brauche ich das Fitbit Armband wirklich, von dem ich nicht weiss, was es an wen sendet? Muss ich alles, was bequem ist, wirklich mitmachen?
- Datenschutz durch Technik - Stichwort “Privacy by design” bzw. “by default”, also die in die Software hineinprogrammierte Absicherung von Nutzerinnen und Nutzern vor Missbrauch ihrer Daten - für die es jedoch wiederum klare Regeln und Vorgaben braucht
- Datenschutz durch Regeln - wobei wir weniger von Einschränkungen und Verboten ausgehen sollten als von Vorgaben und Anforderungen, die es gemeinschaftlich zu definieren gilt.
Im Bereich des Datenschutzes kollidiert unsere analoge Definition von Persönlichkeitsrechten mit den komplexen Fragen digitaler Identität und Eigentumsverhältnisse. Wir stehen immer noch am Anfang des digitalen Zeitalters, dessen explosiver Beginn die meisten von uns überfordert, verängstigt und einschüchtert.
DIE VERANTWORTUNG FÜR DATENSICHERHEIT TRAGEN WIR ALLE
Um nicht in Schockstarre zu verharren, bedarf es einer den Regeln und Taktfrequenzen der Software-Branche angemessene Regulierung durch Behörden, eine Bereitschaft der Tech-Firmen, bis zu einem gewissen Grad für die Veränderung, die ihre Programme mit sich bringen, auch über den Moment ihrer Veröffentlichung verantwortlich zu sein - und Bürgerinnen und Bürger, die nicht völlig ahnungs- und ratlos vor ihren handlichen Supercomputern kapitulieren.
Daten sind nicht das neue Gold oder das neue Öl. Um Brad Smith, den aktuellen CEO von Microsoft und Autor des sehr empfehlenswerten Buches „Tools and Weapons“ frei zu zitieren: Sie sind überall und deshalb weit mehr als Gold und Öl es jemals waren. Sie sind mittlerweile eher wie die Luft, die wir atmen.
Anders als bei Gold und Öl geht diese digitale Luft uns alle an, ob wir es wollen oder nicht. Die Luft anzuhalten und darauf zu hoffen, dass die Digitalisierung doch noch an uns vorbeizieht, ist sicher nicht die Lösung.
Alles Gute: Ihre SMarta.